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Umsturz droht in vielen arabischen Ländern – Chance oder Flächenbrand?

Der bislang erfolgreiche Aufstand in Tunesien droht sich zum Flächenbrand in den arabischen Ländern zu entwickeln. „Dass die Bevölkerung eines repressiven arabischen Polizeistaats erstmals einen Herrscher stürzt, ist ein historisches Ereignis„, sagt Guido Steinberg, der für die Stiftung Wissenschaft und Politik seit Jahren über die Region forscht. „Die Despoten der arabischen Welt haben Angst.“ Das, was die USA in den Siebzigern beim Fall Südvietnams befürchtete – ein Domino-Effekt – könnte hier initiiert worden sein. Zum ersten Mal wurde eine diktatorische – vom Westen verhätschelte – Regierung von einem Bürgeraufstand gestürzt und aus dem Amt gejagt. In Ägypten, Jordanien, Jemen und anderen Ländern wird bei Demonstrationen bereits „21“ skandiert … Noch werden 21 arabische Staaten von autokratischen Diktatoren geführt. Die Studenten im Jemen riefen auch andere arabische Völker zur „Revolution gegen ihre lügenden und verängstigten Anführer“ auf. Die Probleme sind seit Jahrzehnten offenkundig:

Die entscheidende Frage ist das „Danach?“ Noch kann niemand mit Bestimmtheit sagen, ob Tunesien eine Wende zum Besseren oder zum Chaos genommen hat. Geht die Entwicklung in die vom Westen gewünschte Richtung oder bekommen im Fall eines Umsturzes Islamisten die Oberhand? Die Wahrscheinlichkeit geht in die zweite Richtung, haben doch die „westlichen Demokratien“ über Jahrzehnte die verhassten Diktatoren gepflegt und gehätschelt und jeden Wechsel (selbst völlig demokratisch legitimierte wie in Algerien) unterbunden und auf Seiten der Unterdrücker bekämpft. Die Boykottierung der palästinensischen Hamas nach deren Wahlsieg von 2006 hat bei vielen Arabern den Eindruck erweckt, dass der Westen demokratische Voten in diesem Teil der Welt nur dann akzeptiert, wenn das Ergebnis gefällt.

Die größten Oppositionellengruppen bilden in vielen arabischen Staaten die gemäßigten Islamisten. Sie hätten gerne islamischere Gesellschaften – das wären nicht zwangsläufig offenere oder demokratischere. Die liberalen und demokratischen Kräfte hingegen sind klein. Meistens haben die Regime verhindern können, dass sie sich wirkungsvoll organisieren. Auch waren es nicht sie, sondern ausgerechnet ihre Unterdrücker, die vom Westen gepäppelt wurden. Dem war ein stabiler Naher Osten mehr wert als ein demokratischer. In den Jahren des Kalten Krieges hat der Westen Diktaturen unterstützt, weil er sie für Bollwerke gegen den Kommunismus hielt. Heute heißt der gemeinsame Feind Islamismus. Gleichwohl erweist es sich zusehends als Trugschluss, im Schulterschluss mit undemokratischen Herrschern (radikale) religiöse Kräfte eindämmen zu wollen. Die Strategie ist kontraproduktiv: es mehren sich die Anzeichen, dass westliche Unterstützung für autokratische Regierungen den Islamisten politisch in die Hände spielt und die Glaubwürdigkeit des Westens (und ihrer Werte) in der Bevölkerung unterminiert.

Es ist keine Übertreibung, autoritär regierte arabische Staaten als Auslaufmodelle zu bezeichnen. Es sind vor allem zwei strukturelle Veränderungen, die den Status quo in seiner Existenz gefährden: das Erstarken einer arabischen Zivilgesellschaft und die unkontrollierte Verbreitung moderner Massenmedien. Diese beiden Entwicklungen haben das Machtmonopol der autoritären Regierungen auf Dauer zerstört.

Die Träger des Aufstandes in Tunesien waren junge Männer und Frauen, die sich zu Recht ausgeschlossen fühlten von der wirtschaftlichen und politischen Teilhabe. Das gibt es fast in allen arabischen Staaten: Der Anteil der Menschen unter 30 ist enorm hoch, ebenso deren Arbeitslosigkeit. Gepaart mit den neuen Freiheiten, die ihnen der Zugang zum Internet gewährt, können sie ein Faktor werden, der Regime herauszufordern vermag. Die Dauerberichterstattung des TV-Senders Al Jazeera aus Tunesien hat die arabischen Massen ebenso elektrisiert wie vor zwei Jahren die Bilder von der israelischen Invasion in Gaza. Der Sturz des tunesischen Präsidenten ist nicht nur ein Alarmsignal für arabische Autokraten; er sollte auch ein Weckruf sein für westliche Regierungen. Der Regimewechsel in Tunesien jedenfalls ist wegweisender für die arabischen Länder als es der erzwungene Sturz Saddam Husseins im Irak war.

Nachfolgend eine Spiegelliste der „Wackelkandidaten“:

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