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Quo vadis – Grüne? – Versuch einer Analyse

Die politische Lage in Deutschland hat sich in den letzten zwölf Monaten (seit, aber nicht nur durch Fukushima) grundlegend geändert. Die „etablierten“ Parteien, zu denen seit einiger Zeit auch die Grünen gehören, verlieren seit Jahren massiv an Vertrauen und werden gleichzeitig für bisherige NichtwählerInnen immer weniger zu einer Alternative.  Die (unterschiedlichen) Ursachen sind Affären und Skandale, aber auch die Unfähigkeit, Politik zu gestalten und Lösung auf die aktuellen Fragen (wie vor allem zur laufenden Umverteilung von unten nach oben) zu präsentieren, die umsetzbar und wirksam sind. Das politische Handeln in Deutschland ist vielmehr ein Verwalten des Mangels an Lösungen, Aussitzen von Problemen und Verschieben von Entscheidungen, angeblich jeweils alles „alternativlos“. Beispiele: Die Grünen sind zufrieden mit dem Kapitalismus in Deutschland, die grundlegenden Prinzipien finden sie „in Ordnung“ (Hartz 4, Rentensystem, Bildungssystem etc. ). Sie versuchen lediglich, einige Fehler zu reparieren, die für die BürgerInnen in dieser Form als zu „hart“ empfunden werden. So wird eine neue Schule in NRW durch Löhrmann eingeführt, ohne das falsche dreigliedrige Schulsystem in Frage zu stellen. Forderungen  nach Mindestlohn werden erhoben, ohne z.B. mit den Gewerkschaften das Problem anzugehen, dass dieser Mindestlohn für eine Rente gar nicht ausreicht.

Im Rahmen des Buhlens um Wählerstimmen haben sich die Positionen dabei soweit angenähert, dass CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne kaum noch unterscheidbar sind. So setzte Merkel einen sog. Atomausstieg durch, von dem die Grünen meinten, ihn abnicken und als „ihren Erfolg“ verkaufen zu müssen. Die CDU und noch mehr die CSU wie auch mittlerweile die FDP (Kubicki: höherer Spitzensteuersatz und Lohnuntergrenzen) überholen die SPD bei einzelnen Sozialpositionen (u.a Mindestlohn). Bei der Euro-Rettung und Außenpolitik (Afghanistan, Irankrise, arabischer Frühling …) sind die Unterschiede der Parteien mehr als minimal. Die Themen jedoch, welche die WählerInnen interessieren, werden weitgehend ausgeklammert, nicht diskutiert oder in Hinterzimmer vorab ausgeklüngelt. Beispielhaft sei der kleine Parteitag der Grünen in Lübeck am 28.4.2012, immerhin im Vorfeld zweier entscheidenden Landeswahlen, genannt: Von diesem kommt in Pressemeldungen nur rüber, dass über „Personalia“ diskutiert wurde. (Es geht dabei um die Frage, ob und wie das Spitzenpersonal für die Bundestagswahl gefunden wird.)

In dieser Phase des „Gleichklangs“ und der Vereinheitlichung auf „regierungsbefähigende“ Inhalte, vermutlich im Hinblick auf jeweils rechnerisch mögliche Koalitionen fiel zunächst nur eine Partei aus dem Rahmen: Die Linke. Diese hatte und hat jedoch andere Akzeptanzprobleme, sowohl aus ihrer Geschichte heraus als auch aus einer zuletzt unfähigen Führungsspitze, welche die Probleme wie u.a. den Unterschied zwischen der alten Ost-PDS und dem neuen Westflügel verschärfte statt löste. Folgerichtig verlor die Partei kontinuierlich in den letzten Jahren bei den Wahlen wesentliche Prozentpunkte und somit massiv an Einfluss. Dabei hätten sie sich in der Ecke der Protestpartei wohlig einrichten können. Die Verweigerung, sich an Regierungen zu beteiligen, wurde akzeptiert und teilweise sogar als Vorteil gesehen. Mit dem Verlust dieser Rolle und der Verschärfung der Gleichschaltung der anderen wurde der Platz für ProtestwählerInnen weitgehend preisgeben.

In dieser Lücke fanden die Piraten ihre Wählerschaft, laut den ersten Befragungen offenbar weitgehend – folgerichtig – aus alle Parteien und eben zu einem wesentlichen Teil aus den bisherigen NichtwählerInnen. So äußern sich in einer Umfrage 72 % (und damit mit Riesenabstand vor der Nennung des 2. Grundes): „Unzufriedenheit mit der Arbeit der anderen Parteien“ als Wahlgrund. Ehrlichkeit, die oft als Naivität fehl interpretiert und eine Offenheit innerhalb der Parteistrukturen sprechen viele von den Altparteien Frustrierte an. Auch wenn das kontrovers (von interessierte Seite der etablierten Presse gepuscht) diskutiert wird, sind die Piraten eindeutig links positioniert.

Das Tragische an dieser Entwicklung ist, dass mit der Zunahme der Stimmen für die Piraten die Chancen auf rot-grüne Mehrheiten in den Ländern wie vor allem auch auf Bundesebene verloren gehen. So wird es in Schleswig-Holstein wohl sicher nicht reichen und in NRW sehr eng werden. In beiden Fällen gewinnen die Grünen nichts hinzu (S.-H.) bzw. verlieren sogar (NRW). Rot-grüne-orange oder eine rot-rot-grüne Koalition sind in Deutschland von SPD und Grüne einhellig zum Tabu erklärt worden, ohne dass dies irgendwie begründet würde. Wer hat diese Tabuisierung durchgesetzt und warum? Eine zentrale Rolle beim politischen Wandel bzw. beim Verhindern des Wandels spielt die SPD, aber auch wesentliche Teile der Grünen – flügelunabhängig – spielen diese Karte.

Eine rot-grüne Mehrheit auf Bundesebene ist nach kurzem Zwischenhoch nach Fukushima in unerreichbare Ferne gerückt. Damit werden wohl mehrheitlich „große Koalitionen“ gezimmert werden, zumindest solange, bis die SPD merkt, dass sie dabei als Juniorpartner nur verlieren kann und sich selber abschafft. Das kann bei dem Altersstarrsinn der „alten Dame“ noch einige Jahre dauern.

Ein Scheitern der Piraten wäre aber ebenfalls nicht nur keine Lösung, sondern zeitgleich eine der größten Gefahren für Deutschland. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich eine rechtsextreme Partei, u.a. aus den Trümmern der FDP und frustrierten Rechtsausleger von CDU/CSU, etabliert, die anfängt in den ca. 15 % Protestwählerschaft zu fischen. Wenn sie dies auf intelligente Weise und gut organisiert tut, so wird sie – das zeigen die Nachbarländer von Frankreich über die Niederlande, Ungarn und Italien, aber auch Umfrageergebnisse in Sachfragen – sehr schnell Erfolge generieren.

Deutschland bewegt sich also auf ein Vielparteiensystem hin, in dem die Regierungsbildung schwieriger und die Umsetzung einer linken – sozialen, pazifistischen, feministische und ökologischen, also grünen – Politik unmöglich werden wird, weil SPD, Linke, Grüne und Piraten unfähig sind, Regierungsmehrheiten zu bilden. In einem Bundestag, in dem sich CDU, CSU, SPD, FDP (?), Linke (?), Grüne, Piraten und Rechtspopulisten gegenseitig blockieren wird bald selbst eine sog. „Große Koalition“ keine Mehrheit mehr haben. Mit den derzeitigen Positionen innerhalb des „Mitte“-Lagers, die Regierungsfähigkeit und vor allem Koalitionsfähigkeit zum Allheilmittel hochputscht und Politik ersetzt, machen sich die Grünen mittelfristig selbst zumindest bedeutungslos, wenn nicht überflüssig.

Es stellt sich daher die Frage, was die Grünen im letzten Jahr falsch gemacht haben.

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