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Chemische Kampfstoffe

Spätestens seit im ersten Weltkrieg chemische Waffen eingesetzt wurden, hat die Wissenschaft der Stoffe eines Paracelsus und Liebig ihre Unschuld verloren. Dieser nicht unwichtige Teil der Wissenschaftsgeschichte dieser Fakultät wird viel zu häufig verdrängt und totgeschwiegen, mit dieser Ausarbeitung soll ein wenig Licht ins Dunkel gebracht werden. Ein Problem aus heutiger Sicht ist die chemische Verwandtschaft (d.h. chemisch ähnlich aufgebaute Verbindungen) zwischen „Un‑“krautvernichtungsmittel und bestimmten chemischen Kampfstoffen.

 

I. Die wichtigsten C-Waffen-Gruppen
Die heutige gängige Einteilung unterscheidet folgende Gruppen:
1. Reizgase: z.B. CS, Tränengas
2. Psychogase: LSD-Derivate
3. Hautgase: Gelbkreuz (=Lost =Senfgas)
4. Blutgase: Blausäure („Zyklon B“)
5. Lungengase: Chlorgas, Phosgen
6. Nervengase: Sarin, Tabun, VX …
7. Pflanzenvernichtungsmittel: „Agent Orange“
8. Brandstoffe: Napalm
II. Ein historischer Abriss
1. 1. Weltkrieg – 1939
2. 2. Weltkrieg
3. ab 1945
III. Deutscher Exportschlager – Giftgasanlagen?

 

I. Die wichtigsten C-Waffen-Gruppen

I.1. Reizgase:

Die Wirkung der Reizgase zielt in erster Linie auf eine übermäßige Tränenproduktion und führt damit zur zeitweisen Ausschaltung des Gegners. Als „Tränengas“ sind heute noch bei der Polizei vor allem Bromverbindungen im Einsatz (Ben­zylbromid, Bromessigsäureester, Bromaceton u.a.). Diese haben schon im 1. Weltkrieg als Weißkreuz Karriere gemacht, wobei ihre Haupt­aufgabe war, den Gegner zum Herunter­reißen der Gasmasken zu veranlassen, damit die mitversprühten Gifte ihre volle Wirkung ent­falten konnten. Bei diesen Stoffen sind ge­sundheitliche Schäden bei einem Abstand von weniger als 1 m oder in geschlossenen Räumen unvermeidlich. Reizgase gelten heute (im Gegensatz zur Zeit zwischen den Weltkriegen) NICHT als chemische Waffen und fallen daher nicht unter das Kriegswaffenkontrollgesetz. Allerdings ist der Einsatz von „Chemikalien zu kriegerischen Zwecken“ generell verboten und strafrechtlich verfolgbar.

Bei den moderneren Stoffen dieser Kategorie ist das CN-Gas (Chloracetonphenon) gerade noch am Rande der Harmlosigkeit, während das CS-Gas (Chloraceton-2-benzylidenmalonsäuredi­nitril = chemische Keule) teil­weise verheerende Wirkungen hat. In geschlossenen Räumen ange­wendet, führte CS bereits zu Toten und Fällen von Hautkrebs [s.a. Lit. 3) ]. So soll am 11. Mai 1991 die türkische Armee in der Nähe von Balikaya südöstlich von Sirnak CS-Gas gegen PKK-Kämpfer eingesetzt, die sich in eine Höhle zurückgezogen hatten. Durch den Angriff waren nach PKK-Angaben 20 Aufständische umgekommen. [s.a. Lit. 8) ]

I.2. Psychogase:
Sie wirken wie Atropin (das Gift der Tollkirche) auf das zentrale Nervensystem. Die zulässige Einzeldosis (ohne dauerhaft nachteilige Folgen) von 0,0005 bis 0,001 g hat zunächst eine erregende Wirkung, bevor sie lähmend wirkt. Das Rauschgift LSD (Lysergsäurediethyl­amid) ist chemisch verwandt.

I.3. Hautgase: Gelbkreuz (=Lost =Senfgas):
Das von den deutschen Chemiker Lommel und Steinkopf entwickelte „Lost“ (chemischer Name: Bis(2-chlorethyl)­sulfid = Dichlordiethylsulfid) war das erste im Krieg (ab Juli 1917) einge­setzte Hautgift. Damit war natürlich der Schutz durch Gasmasken hinfällig. Die Verbindung ist nur fett- aber nicht wasserlöslich. Sämtliches Gewebe wie auch Gummi werden durchgeätzt, berührte Haut bildet bald Blasen (ähnlich Brandblasen), beim Einatmen und Kontakt mit den Schleimhäuten kommt es auch hier zu Ver­ätzungen. Da sich Lost, anders als die bisher beschriebene Stoffen nicht innerhalb weniger Stunden zersetzt, ist das kontaminierte Gelände lange Zeit verseucht.

I.4. Blutgase:

Das bekannteste Blutgas ist Blausäure (HCN, auch bekannt als „Zyklon B“). Es blockiert den Sauerstofftransport durch die Blutbahn und führt dadurch zum Erstickungstod. Bereits 0,002 – 0,005 g wirken tödlich. Um den Schutz mittels Gasmasken zu verhin­dern, wurde in der Vergangenheit bereits mehr­fach Blausäure verwendet, da diese in drei bis vier Minuten die Gasfilter zerstören kann.

I.5. Lungengase: Chlorgas, Phosgen, Grünkreuz

Chlorgas eröffnete die lange Reihe von Gift­gasen im Kriegeinsatz (s.a. unten). Da Chlor – gerade in dem bei Normaltemperaturen vorlie­genden gasförmigen Zustand – sehr reaktionsfä­hig ist, führt die Verätzung, vor allem der Schleim­häute, zur Verletzung. Beim Einatmen kann das bis zur völligen Zerstörung der Lunge führen.

Phosgen (COCl2, also eine Chlorverbindung) hat etwa 80 % der durch Deutschland verursachten Giftgas-Todesopfer des ersten Weltkrieges auf dem Gewissen [s.a. Lit 2), S. 188 f].

Grünkreuz (s.a. unten) ist Chlorameisensäuremethyl­ester, das, in Giftgasgranaten verschos­sen, eine dem Phosgen ähnliche Wirkung hat, es zerstört die Lungenbläschen, durch Eindringen von Blut in die Lunge kommt es zum Er­stickungstod.

I.6. Nervengase:
Tabun wurde von Chemikern des IG Farben­konzerns erstmals 1937 hergestellt. Die Verbin­dung „Dimethyl­phosphoramidcyansäureethylester“ zählt zu den stärksten Giften überhaupt: Bereits 0,0001 g genügen, um innerhalb von ca. fünf bis sieben Minuten einen Menschen zu töten. Das Nervengift bewirkt eine Lähmung der Musku­latur, genauer gesagt, verhindert es den Abbau der „Boten­stoffe“ in den Nervenbahnen. Die Folge ist ein „innerkörperliches Chaos“, die Weiter­leitung von Nerven­impulsen wird gestört und das führt letztendlich zu Herz- und/oder Lungenversagen. Die Begleitumstände: Absondern von Schleim, unkontrol­liertes Erbrechen und Darmentleeren, Muskel­vibrieren. Atropin, das Gift der Tollkirsche, ist das einzige bekannte Gegen­mittel. Allerdings müsste dieses in genau dosierter Dosis gegeben werden, da es sonst nur die Qualen verlängert oder selbst zum Tod führt. Bei einem Gift­gasangriff mit Tabun müsste also jeder betrof­fene Soldat individuell genauestens unter­sucht und behandelt werden – ein Ding der Unmög­lichkeit!

Andere substituierte Phosphorsäureester (substitu­iert heißt: Wasserstoffatome der Verbindung wurden durch andere che­mische Gruppen ersetzt) eignen sich ebenfalls als Nervengase: Sarin, Soman, Trilon, VX (s.a. III).

Da diese Stoffe am besten geeignet sind, bei der Explosion der Granate aus zwei verschiedenen Kammern kurzfristig „hergestellt“ zu werden und damit ihre Handhabung relativ sicher ist, gelten sie heute als die modernsten chemischen Kampfstoffe, die sog. „binäre Waffen„.

I.7. Pflanzenvernichtungsmittel:

Das bekannteste im Krieg eingesetzte  Pflan­zenver­nich­tungsmittels „Agent Orange“ enthält je 50 % 2,4-Dichlor­phenoxyessigsäure-bu­tylester und 2,4,5-Trichlorphen­oxy­essigsäure-butylester sowie in Spuren „Seveso-Dioxin“: 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-1,4-dioxin, (kurz TCDD). Insgesamt wurden in Vietnam 170 kg TCDD frei­gesetzt, zum Vergleich: Beim be­kanntesten Unfall mit TCDD, im italienischen Seveso – daher auch der Name – wurden dage­gen 0,200 kg frei [s.a.Lit. 4), Ausgabe 7/91, S. 26]. Die Wirkung auf Menschen ist fast noch verhee­ren­der als auf die Pflanzen: Chlor-Akne (Hautauschlag, der in Hautkrebs übergeht), Krebserkrankungen zahl­reicher innerer Organe, Frucht- und Samenschädigung, was in Vietnam zu Abertausenden von Fehl-, Tod- und Missgeburten führte.

I.8. Brandstoffe:
Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist Napalm. Der Name ist abgeleitet aus dem che­mischen Namen: Naphthen-Palmitin-Säure-aluminiumhydroxid. Diese Verbindung wird mit Benzin geliert und mit weißem Phosphor ge­zündet. Da eventuell zum Löschen eingesetztes Wasser chemisch reagiert, wird der Brandpro­zess dadurch sogar noch gefördert. Auch reiner weißer Phosphor wurde, vor allem im ersten Weltkrieg, als Brandwaffe verwendet. Weiterhin wurde in der Vergangenheit auch schon reines Kalium (als Brandstabbomben) verwendet.

II. Ein historischer Abriss:

Im Gegensatz zu den Atomwaffen haben che­mische Kampfstoffe bereits eine vergleichsweise ausgeprägte Geschichte hinter sich. Die wich­tigsten Stationen sind:

II.1. 1. Weltkrieg bis 1939:
Erstmalig erfolgte der Einsatz von u.a. Chlorgas an der deutschen Westfront bei Ypern am 22. April 1915. Bei dem lange vorbereiteten Angriff starben 5000 französische Soldaten. An der Entwicklung beteiligt war auch Prof. Fritz Haber, der aller­dings durch die Entwick­lung des Haber-Bosch-Verfah­rens zur Ammo­niak-Herstellung bekannter wurde * (7) S. 203 ff). An der Umsetzung dieses Vorhabens waren neben Haber mit Prof. Walther Nernst und Carl Duisberg weitere prominente Natur­wis­sen­schaftler beteiligt. Das „Gas­blasen“ kam allerdings bald wieder „aus der Mode“: Zum einen waren die Vorbereitung zu aufwendig, es mussten in vorderster Linie riesige Menge Gas freigesetzt werden, sollte eine ausreichende Wirkung erreicht werden. Zum anderen wurden die Schutzmöglichkeiten nach den ersten Über­ra­schungseffekten sehr bald verbessert. Auch gab es mehrfach Probleme mit unvorhersehbaren Änderungen der Windrichtungen, die zu Verlusten in den eigenen Reihen führten.

Man ging als nächstes dazu über, Giftstoffe in Granaten zu füllen und damit gegnerische Stel­lung zu beschießen. Die physikalischen Anfor­derungen an die verwendeten Stoffen waren we­sentlich einfacher zu überfüllen und die Wir­kung war stärker. Im Kriegsministerium gab es mittlerweile unter der Führung von Prof. Haber eine „chemische Abteilung“, der u.a. mit Wal­ther Nernst, Gustav Hertz und Otto Hahn drei spätere Nobelpreisträger angehörten. Diese soll­ten nicht nur weitere Kampfstoffe, sondern auch entsprechende Abwehrmittel entwickeln. Die nächste eingesetzte Substanz war Phosgen.

Später ging man auf das sogenannte „Blaukreuz“ (Diphe­nyl­arsen­chlorid bzw. – cyanid, auf alliierter Seite: „Clark I und II“) über. Ein wirksamer Schutz dagegen mit Atemmasken war zu­nächst nicht möglich, da diese Substanz als mikroskopisch kleine Flüssigkeitströpfchen durch die Filter drang. In der normalerweise er­reichten Konzentration war Blaukreuz noch nicht tödlich, es reizte aber zum Niesen und Erbrechen. Rissen die Soldaten dann die Gas­masken herunter, waren sie dem mitverschosse­nen „Grünkreuz“ ausgesetzt, das, ähnlich wie Phosgen, die Lunge zerstörte.

Die alliierten Gegner der Deutschen im 1. Welt­krieg rüsteten erstaunlich schnell nach, so dass bald auf beiden Seiten Gas eingesetzt wurde. Dass die Alliierten z.B. als erste auf den Einsatz des ihnen bekannten „Lost’s“ verzichteten, war keine humanitäre Maßnahme, sondern nur eine fal­sche militärische Einschätzung der Ver­wend­bar­keit. Ab 1917, zunächst von Deut­schen ein­ge­setzt, verwen­deten es bald beide Seiten. Auch setzten die Alliierten, die im nördlichen Afrika über reiche Phos­phor­vor­kommen ver­fügten, erst­malig Phosphor­bom­ben zur gleich­zeitigen Vernebelung und als Brand­stoff ein.

„Krönung der Schöpfung“ sollte das von der Amerikaner entwickelte „Lewisit“ (= Chlor­vinylchlorarsin) sein, das aber glücklicherweise vor Kriegsende nicht mehr einsatzbereit herge­stellt wurde. Allerdings stand es in seiner Ge­fährlichkeit eindeutig hinter „Lost“.

1925 setzten spanische Truppen in Marokko ge­gen Aufständige Lost ein. Im gleichen Jahr verabschiedete der Genfer Völkerbund die Konvention gegen den Ersteinsatz von Giftgas. Die Herstellung und der Besitz bleiben davon (bis heute!) unberührt.

1936 verwendet Italien in seiner afrikanischen Kolonie Äthiopien gegen Aufständige Lost (Senfgas).

II.2. 2. Weltkrieg:

Hierbei funktionierte erstaunlicherweise das „Gleichge­wicht des Schreckens“ – zumindest in Europa: Obwohl sowohl Deutschland wie auch die Alliierten über chemische Kampfstoffe verfügten, setzte keine Seite diese militärisch ein. In den Konzentrationslager zeigte Hitler weni­ger Zurückhaltung. Zur „beschleunigten Ver­nichtung der Juden“ wurden zur größeren Ef­fektivität (!!!) in den letzten Kriegs­jahren der Kampfstoff „Zyklon B“ (= reine Blausäure) ein­gesetzt. Die Verbündete der Deutschen in Asien, die Japaner, entwickelten Biowaffen: In der Mandschurei wurden – quasi als Ver­such – Tausende von Chinesen mit biolo­gischen Kampfstoffen (Milzbrand-, Typhus-, Cholera- und Pesterreger) umgebracht.

II.3. nach 1945:

Im Vietnamkrieg ärgerten sich die US-Ameri­kaner lange Zeit über die guten Tarnmöglich­keiten der anderen Seite im Dschungel. Schließ­lich kam man auf die Idee, mithilfe der Chemie dagegen etwas zu unternehmen. Durch Flugzeuge wurde in bestimmten Gebie­ten fast flächendeckend „Agent Orange“, ein che­mischer Verwandter des Un­kraut­ver­nich­tungs­mittels DDT versprüht.

Die erheblichen Neben­wirkungen für Menschen (erbgut­schädigend, krebserzeugend) nicht nur für die süd­viet­namesische Bevöl­kerung, die es ja immerhin zu verteidigen galt, waren bekannt und wurden billigend in Kauf genommen. Hin­weisen auf das Verbot der Genfer Konven­tion, Giftgas einzusetzen, wurde entgegengehalten, dass diese nicht gälte, da die verwendeten Sub­stanzen ja schließlich nicht zum sofortigen Tod der Betroffenen führen würde. Auch den eig­nen Soldaten gegenüber wurde vertuscht, ver­harm­lost und herunterge­spielt. Zehntausende Prozesse in den USA wa­ren die Folge, geführt von an Krebs erkrankten Soldaten, von Witwen, deren Männer qualvoll starben und von ver­krüppelt geborenen Kin­dern. Selbst die ver­suchte massive Beeinflussung der Gerichte aus Angst vor einer nicht bezahl­baren Prozessflut konnte etliche Urteile zugun­sten der Kläger nicht verhindern. Erst in 1990ern wurden durch eine Anweisung des Präsi­denten Bush die Opfer anerkannt, selbst­ver­ständlich nur die amerikanischen Opfer!

„Jüngster“ Anwender der Chemie im Krieg ist der Iraker Saddam Hussein, schon vor dem Golfkrieg (geschrie­ben am 07.02.1991). Gegen aufständige Kurden (in Halabscha, 1988) und im Krieg gegen den Iran wurden mehrfach chemische Waf­fen ein­gesetzt. Nachgewiesen wurden der Einsatz von Blausäure und Senfgas gegen den Iran und gegen Kurden.

Im eskalierenden Bürgerkrieg im Sommer 2012 spielt das syrische Giftgas eine wesentliche Rolle. Zum einen droht die bedrängte syrische Regierung mit dem Einsatz gegen auswärtige Angreifer (also auch im Sinn eines bewaffneten UN-Hilfseinsatzes), zum anderen sorgt sich die israelische Regierung „laut“ darüber, dass die Vorräte den Aufständigen in die Hände fallen und an terroristische Vereinigungen wie Al Qaida, Hisbollah oder Hamas weiter gegeben werden könnten. Syrien soll über Senfgas, Sarin und VX verfügen. [s.a. Lit. 10)]

 

III. Deutscher Exportschlager – Giftgasanlagen?

Giftgas gilt seit einigen Jahren als die Atombombe „des kleinen Mannes“ – problemlos und billig in der Beschaffung und Herstellung, mit fast ähnlich verheerender Wirkung beim Einsatz. Laut Sipri (Friedenforschungs­institut in Stockholm) verfügen mittlerweile 37 Staaten über Giftgas, dessen Herstellung und Lagerung übrigens derzeit nicht verboten ist. Neben Irak sind das im Nahen Osten Israel, Syrien, Ägypten und Iran. Libyen verfügte ebenfalls unter Gaddafi über Giftgasvorräte, die mittlerweile jedoch (vollständig?) unter internationaler Kontrolle sein sollen.

Das größte Problem im Zusammenhang mit dem Export von Giftgasanlagen ist die chemische Verwandtschaft zwischen Unkrautvernich­tungsmittel und bestimmten Giftgasvarianten, vor allem den Nervengasen Tabun, Sarin und Soman. Alle diese Stoffe sind sogenannten „substi­tu­ierte Phosphorsäureester“, d.h. sie sind chemisch von der Phosphorsäure bzw. von Phosphorchlorverbindungen abgeleitet.

Mag es daher gerade noch als Entschuldigung gelten, wenn sich die Experten deutscher Fir­men bei Anlagen zur Verarbeitung von Phos­phorpentachlorid, einer der häufigsten Grund­substanzen, nichts Böses dachten. Allerdings hätte jeder Normaldenkende stutzig werden müssen, wenn er die Bewachungs- und Befesti­gungeinrich­tungen dieser Anlagen gesehen hätte [s.a. Lit. 4), Ausgabe 7/91, S 28. ff]. Dass Phos­phorpentachlorid allerdings erst 1986 auf einer Warnliste des Verbandes der chemischen Indu­strie (VCI) aufgeführt wurde, lässt nur Verwun­derung zu.

Ein Problem, wenn man gerade den Irak in die­sem Zusammenhang näher betrachtet, war si­cher, dass Sad­dam Hussein über etliche Jahre das Bollwerk des „freien Westens“ gegen das „Böse“ im Iran war – gehätschelt und aufge­rüstet bis zur Na­senspitze, um ja auch dem Regime der „Ayathollas“ widerstehen zu können. Gern wurde dabei übersehen, dass Hussein ja auch diesen Krieg begonnen hatte, nicht etwa der Iran.

So gab es angeblich sogar noch 1985 eine Auf­forderung der Bundesregierung an die deutsche Industrie, doch bitte stärker als bisher an den Irak zu liefern. Und es halten sich hartnäckig Gerüchte, selbst illegale Rüstungsgeschäfte seien mittels Hermes-Bürgschaft durch die Bundesre­gierung abgesichert wurden.

Besonders negativ hervorgetan haben sich die Firmen Karl Kolb GmbH, Dreieich, und W.E.T (=Water Enginee­ring Trading) GmbH, Ham­burg. Gegen diese Firmen liefen 1991 Ankla­gen wegen des Exportes von Anlagen und Che­mikalien zur Giftgasherstellung. [s.a. Lit. 4) Ausgabe 2/91, S 114. ff]. In dem folgenden Prozess in Darmstadt wurden die Vertreter der Fa. Kolb übrigens freigesprochen, da „sie nicht in der Lage waren … den Missbrauch ihrer Maschinen zu erkennen„. Gegen Vertreter der Fa. WET wurde wegen einer Lieferung einer „Bombenfertigungsstraße“ weiter verhandelt! Der zuständige Richter konnte sich allerdings den Kommentar nicht verkneifen, dass durch die „untauglichen Strafrechtbestimmungen … die Bundesrepublik 30 Jahre lang den Export waffenfähiger Chemieanlagen ermöglicht habe!

Eine besonders makabere Episode am Rande ist die Lieferung von Gaskammern durch die Fa. Pilot Plant nach Samarra, die „für große Tiere ausgelegt sei…„! Von der Preussag sollen „Ver­brennungsanlagen für Tierkadaver“ geliefert worden sein. Ein irakischer Mitarbeiter wird mit den Worten zitiert, die Anlagen seien für „Mäuse, Ratten und Perser“ bestimmt. Skandalös ist die Tatsa­che, dass diese Exporte nach den deutschen Außenwirtschaftsgesetzen völlig legitim waren [s.a. Lit. 4) Ausgabe 7/91, S 28. ff].

Auf diesem Gebiet hat die Wiedervereinigung wohl am reibungslosesten geklappt: Westdeutsche Giftgasfabriken und ostdeutsche Experten und Schulungsmaßnahmen!

Literatur/Quellen:

Literatur/Quellen:
1.       „Väter und Söhne“, vierteiliger WDR-Spielfilm 1986;
2.       „Chemische Plaudereien“, Prof. Dr. Robert Wizinger, Buchgemeinde Bonn, 6. Auflage 1941;
3.       Römpp Chemie Lexikon, 8. Auflage, Franckh-Verlag, 1983
4.       Stern, u.a. Ausgabe 7/91, S. 24 ff und 2/91, S. 114 ff; 34/82, S.52 FF
5.       Sendung „REPORT“ ARD, 05.02.1991
6.       H.J. Flechner „Carl Duisberg – eine  Biografie“, ECON-Verlag, Düsseldorf 1981
7.       Erik Verg. „125 Jahre Bayer 1863 –   1988“, Bayer AG, Köln 1988
8.       „Kennzeichen D“, ZDF, am 27.10.1999, 22.25 Uhr
9.       „Gift gegen Gift“, ARTE, am 2.2.2003, 22.25 Uhr
10.    http://www.focus.de/politik/ausland/krise-in-der-arabischen-welt/syrien/assads-giftgas-arsenal-die-wichtigsten-antworten-zu-syrischen-chemiewaffen_aid_786124.html

Ich danke Frau Schmitz-DuMont, Bayer AG,  Krefeld-Uerdingen für die freundliche Unterstützung.

Erstellt 1991, mehrfach, zuletzt am 29. Juli 2012 überarbeitet und aktualisiert.
Vervielfältigungen aller Art mit Quellenangabe und Belegexemplar an den Autoren zulässig. Ein pdf (5 Seiten) lässt sich hier herunterladen.


*Kriegsbedingt war in diesem  Zusammenhang allerdings auch schon die Weiterentwick­lung von Ammoniak zu Salpetersäure als Rohstoff zur Munitionsherstellung von enormer Bedeutung, womit auch diese men­schenfreundliche Erfindung wie so oft in ihr Gegenteil verkehrt wurde 1).

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