Andere Politik | » Lage in Syrien – Giftgaseinsätze
Einigermaßen klar scheint zu sein, dass es in jüngster Zeit mehrfach zu Giftgaseinsätzen in Syrien gekommen ist. Dass die Aufnahmen gefälscht oder gestellt sind, ist unwahrscheinlich – dazu sind es schlicht zu viele. Die Symptome (Speichelausfluss, Schaum, Atropin als erfolgreiches Gegenmittel) deuten auf ein Nervengift (wahrscheinlich Sarin) hin. Damit erschöpfen sich auch schon die Klarheiten. Bekannt ist, dass der syrische Staat über C-Waffen verfügt hat und diese wohl auch selbst hergestellt hat. Die Herstellung ist mit einer gewissen Grundausstattung an Chemieapparaturen recht einfach machbar. Und die Gerätschaften sind von Deutschland, Schweiz und anderen in den Achtziger an jeden verkauft worden, der sie haben wollte … (s.u. 1.) Bezüglich der jüngsten Einsätze bleiben zwei Szenarien, die – wenn auch unterschiedlich gewichtet – beide glaubhaft sind.
1. Der syrische Staat, d.h. das Regime von Baschar al Assad hat diese Waffen eingesetzt, z.B. um die Gewinne der letzten Wochen zu stärken und endgültig wieder die Oberhand zu gewinnen.
DAFÜR spricht, dass nichts über einen Verlust von C-Waffen bekannt wurde (aber: hätte das Regime das eingestehen können?) und einer Regierung, die ihre eigne Bevölkerung bombardiert auch der Einsatz von Giftgas zuzutrauen ist. Und dass die Regierung die Arbeit der vor Ort befindlichen UN-Inspektoren behindert, anstatt sie gerade bei der Untersuchung des aktuellen Falles mit allen Mitteln zu unterstützen.
DAGEGEN spricht, dass zum JETZIGEN Zeitpunkt ein Giftgaseinsatz strategisch keinen Sinn macht, das Regime macht derzeit Zugewinne und gewinnt Macht zurück. Ein provozierter Eingriff der USA läge mit Sicherheit NICHT im Interesse der Regierung, damit muss aber gerechnet werden.
2. Eine Rebellengruppe hat C-Waffen erobert und diese eingesetzt, im Wissen, dass dies von den USA als „Überschreiten der roten Linie“ interpretiert wird und somit ein Eingreifen der USA provoziert.
DAFÜR spricht, dass die Rebellen strategisch die Gewinner wären („cui bono?“ wem nutzt es?) und das es innerhalb der höchst heterogenen Rebellen Teile gibt (Al Qaida-Ableger), die wohl keinerlei Hemmungen hätten, zu diesem Mittel zu greifen.
DAGEGEN spricht, dass wohl die große Mehrheit der Rebellen-Gruppierungen diese „Opfer“ nicht akzeptiert hätte (aber: wussten sie davon?)
Überprüfbar ist dies nur unter größten Schwierigkeiten und – realistisch gesehen – wohl unter den herrschenden Bedingungen völlig unmöglich: Die Opfer hätten zeitnah unter wissenschaftlichen Bedingungen untersucht werden müssen. Selbst dann wäre unklar geblieben, WER das Giftgas eingesetzt hat …
Daher stellt sich die Frage, ob das diskutierte militärische Eingreifen der USA (oder Frankreichs) die Probleme löst, das darf bezweifelt werden. Kosovo als Beispiel ist sicher keine Hilfe, wenn man an die Tausenden zivile Opfer in Serbien denkt. Und ein – aus arabischer Sicht – einseitiges Eingreifen gegen einen Gegner Israels könnte den fragilen Waffenstillstand in der Region schlagartig beenden, zumal die Fronten innerhalb des arabischen Lagers immer unklarer werden. Hier stehen nicht nur Schiiten (Iran, syrische Führung, Hisbollah, irakische Führung …) gegen Sunniten (VAE, Saudi-Arabien, Ägypten, große Teile der irakischen Bevölkerung …), auch im sunnitischen Lager tun sich mittlerweile Fronten auf: So geht die Front in Ägypten quer durch das sunnitische Lager: Saudi-Arabien unterstützt die Militärmachthaber und Katar die Muslimbrüder (s.a. HIER)
In diese Konstellation hinein könnte ein amerikanisches Eingreifen den Zündfunken zur Explosion bilden.
Weiteres Material:
1. Grundsätzliches zu Giftgas
2. Tagesthemen, Tagesschau-Hintergründe
3. Zeit
4. Spiegel
und ein m.E. sehr kluger Artikel in der TAZ