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„Sichere Herkunftsländer“?

Die Bundesregierung will Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten bestimmen, da die Menschenrechtslage dort unbedenklich ist. Auch über Afghanistan [1] und [2] und die Türkei[3] wird allen Ernstes schon diskutiert, nicht nur von der AfD, sondern sogar von Gabriel. Allerdings wird ein erheblicher Teil der türkischen Kurden, die in Deutschland Asyl beantragen, als politisch verfolgt anerkannt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hält eine Ausweisung afghanischer Flüchtlinge trotz der Sicherheitslage in ihrem Heimatland für gerechtfertigt. „Wenn wir mit Polizisten und Soldaten in Afghanistan bleiben, dann können wir auch erwarten, dass die Afghanen selbst in ihrem Land bleiben“, sagte de Maizière. Der Besuch von de Maizière Anfang Februar wurde von einem Anschlag überschattet: Ein Selbstmordattentäter sprengte sich vor einem Polizeistützpunkt in die Luft und riss 20 Menschen mit in den Tod. Die Taliban bekannten sich zu der Attacke.

Die Türkei führt seit Monaten einen blutigen Bürgerkrieg im Südosten – auch über die Landesgrenzen hinaus – gegen die Kurden. Nach Militärangaben wurden bislang Hunderte PKK-Anhänger getötet. Nach Statistiken der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP kamen mehr als 100 Zivilisten ums Leben. Die Sicherheitskräfte meldeten ebenfalls zahlreiche Verluste.[4]

Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich eindeutig, dass die Bestimmung von Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten verfassungswidrig wäre. Für die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten muss Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen. Dass dies nicht der Fall ist, ergibt sich bereits aus der Gesetzesbegründung, außerdem aber auch aus zahlreichen Berichten von Menschenrechtsorganisationen, wie etwa Amnesty International.[5]

Die GG-Änderung von 1993 hat erst diese Unterscheidung möglich gemacht: „§16 a (3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.[6] … und die SPD in eine schwere Krise gestürzt und die Grünen gestärkt. Verbunden war die Änderung mit der Einfügung der Regelung betr. „Einreise über einen Drittstaat“ (§16 a (2)). Hintergrund waren die schwersten Ausschreitungen und Verbrechen gegen Ausländer in der Geschichte der BR Deutschland – erinnert sei nur an Mölln[7], Solingen[8] und Lichtenhagen[9] – und ein Einknicken der Politik vor dem Mob der Straße.

Dass die Genfer Flüchtlingskonvention[10] der Definition der „sicheren Herkunftsländer entgegen steht („Artikel 3 Verbot unterschiedlicher Behandlung: Die vertragschließenden Staaten werden die Bestimmungen dieses Abkommens auf Flüchtlinge ohne unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Rasse, der Religion oder des Herkunftslandes anwenden.“) wird bei uns nicht diskutiert, warum nicht?

Ein grüner Jurist[11]: „Art. 16a Abs. 3 GG sagt, wann ein Herkunftsland sicher ist. Es stellt eine Verfassungsverletzung dar, wenn nun von der Regelung in der Weise Gebrauch gemacht werden soll, dass Länder als sicher deklariert werden, die die Anforderungen nicht erfüllen. Diesen durch die GroKo beabsichtigten Verfassungsbruch sollten wir in der politischen Diskussion auch klar so benennen, und uns natürlich an dem Verfassungsverstoß nicht beteiligen. Hinzu kommt, dass integraler Bestandteil des Konzepts ist, dass gemäß Art 16a Abs. 3 Satz 2 GG lediglich eine Vermutung der Nichtverfolgung aufgestellt wird und der Betroffene die Möglichkeit hat, Tatsachen vorzutragen, dass er doch politisch verfolgt wird. Hier bekommt nun das vorgesehene beschleunigte Verfahren besondere Bedeutung. Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten bleiben in der Aufnahmeeinrichtung und das Verfahren soll innerhalb einer Woche durchgeführt werden. Ich habe sicher nicht als Einziger den Verdacht, dass damit faktisch die Möglichkeit der Widerlegung der Vermutung gemäß Art 16a Abs. 3 Satz 2 GG genommen wird. Und auch dies wäre nach meiner Überzeugung ein Verfassungsverstoß, an dem wir uns unter keinen Umständen beteiligen dürfen.“



[1]     http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-10/abschiebung-fluechtlinge-afghanistan-sicherheitslage

[2]     http://www.heute.de/innenminister-de-maiziere-haelt-afghanistan-teilweise-fuer-sicher-42076356.html

[3]     http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/gabriel-fuer-einstufung-der-tuerkei-als-sicheres-herkunftsland-14036438.html

[4]     http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-01/ahmet-davutoglu-tuerkei-eu-fluechtlinge-milliarden

[5]     http://beckstage.volkerbeck.de/2016/02/03/sicherheit-aus-sicht-des-bmi-zur-menschenrechtlichen-lage-in-den-maghreb-staaten/

[6]    https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_16a.html

[7]    https://de.wikipedia.org/wiki/Mordanschlag_von_M%C3%B6lln

[8]     https://de.wikipedia.org/wiki/Brandanschlag_von_Solingen

[9]     https://de.wikipedia.org/wiki/Ausschreitungen_in_Rostock-Lichtenhagen

[10]   http://www.unhcr.de/no_cache/mandat/genfer-fluechtlingskonvention.html?cid=1790&did=7631&sechash=395ee350

[11]   In einer Mailverteiler-Diskussion in RLP in der LAG Demokratie

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