Andere Politik | » Wir brauchen schnellstens einen Neustart der Energiewende!
Die geplante Energiewende in Deutschland durchlebt derzeit ihre bislang schwerste Krise:
Das alles sind keine überraschenden Neuigkeiten, die Probleme sind seit etlichen Jahren bekannt. Konzepte, die eine Gesamtlösung zeichnen fehlen dennoch bis heute. Es wird an der einen oder der anderen Stellschraube gedreht, teilweise sogar, ohne die dadurch verursachten Auswirkungen auf die anderen Sektoren zu beachten.
Auch wir Grünen diskutieren zu lange „um den heißen Brei“ herum und haben damit kostbare Zeit verschenkt. Für das aktuell zu erstellenden Wahlprogramm muss ein „Rundumschlag“ alle wesentlichen Fragen vorab „koalitionsvertragsreif“ bewerten. Zu klären UND zu beantworten sind von uns somit – schnellstens und verbindlich – folgende Fragen:
Vorrangig, vor allem anderen ist die nach wie vor unbeantwortete Frage nach Zentralität oder Dezentralität der deutschen Stromerzeugung. ALLE anderen Entscheidungen sind in der Folge von der Klärung dieser Grundsatzfrage abhängig!
Dies betrifft Projekte wie „DESERTEC“, die eine weitere Zentralität auf Jahrzehnte festschreiben würde, genauso wie eine Unterstützung von „Schwarm-Kraftwerke“, die der Türöffner für ein dezentrales System werden könnten.
Der notwendige Netzausbau wiederum steht und fällt damit, wie zentral oder dezentral das künftige deutsche Stromnetz aussehen wird. Wird Windenergie in Süddeutschland in großem Maß zugebaut und die geplanten Off-Shore Parks nur zum Teil verwirklicht, sieht die Kalkulationsgrundlage im Vergleich zu heute schon wieder völlig anders aus. „Jede kWh, die direkt vor Ort erzeugt wird, muss nicht quer durch Deutschland transportiert werden“[1].
Dass die vier großen Netzbetreiber (Tennet, 50 Hertz, Ampirion und Transnet), allesamt aus den Strom-Oligarchen hervorgegangen oder noch mit ihnen verbändelt, an Dezentralität noch weniger Interesse haben, als daran, ihre Infrastruktur auf zeitgemäßen Stand zu bringen, darf nicht verwundern.
1. Fazit: Diese Frage muss entschieden werden, BEVOR die weiteren Fragen beantwortet werden! Auch wenn die Antwort ein „Sowohl – als auch“ wird, muss dies dann festgeschrieben und umgesetzt werden. Bisher sind beide Türen offen, obwohl sie deutlich unterschiedliche Entwicklungen nach sich ziehen würden …
Obwohl die Debatte über deren Notwendigkeit jetzt bereits länger angelaufen ist, sind kaum Fortschritte erkennbar. Von einem durchgerechneten Konzept kann überhaupt keine Rede sein. Dies ist aber unabdingbar für die weitere Planung. Somit müssen schnellstens die technisch machbaren Möglichkeiten mit Kosten-/Nutzen-Rechnung zusammengestellt und bewertet werden. Dabei sind sowohl räumliche Vorgaben (Standorte Windenergie, PV und Biomasse inkl. der Ausbauplanungen der nächsten 10 Jahre) als auch eine realistische Bedarfsplanung einzubeziehen.
In einem ersten Schritt sind insbesondere potentiell großvolumige Speichermöglichkeiten (Ringwallspeicher, Power-to-Gas, Lagespeicher, Druckluft- oder Pumpwasserspeicher in stillgelegten Bergwerken) in Forschungsprojekten auf Machbarkeit zu prüfen, um dann konzertiert vorgehen zu können. Überdies müssen Speicher von Netzentgelten, EEG-Umlage und dergleichen befreit werden.
Ein intelligentes Stromnetz verbindet die Akteure auf dem Strommarkt durch das Zusammenspiel von Erzeugung, Speicherung, Netzmanagement und Verbrauch. Spitzenlastkraftwerke werden bereits heute so gesteuert, dass möglichst nur so viel Strom produziert wird wie benötigt, für die Grundlastkraftwerke ist das anzustreben. Intelligente Stromnetze beziehen in diese Steuerung das Verhalten der Verbraucher sowie die Strommengen dezentraler kleine Energielieferanten und -speicherorte mit ein.
Unabdingbar ist die zügige Einführung variabler Transformatoren im Niederspannungsnetz, um den dezentrale erzeugten (EE-)Strom auch aufnehmen zu können.
Für die Verbraucher ist dabei der Einbau von Intelligenten Zählern (smart meter) notwendig. Ihre Kernaufgaben sind Fernauslesung und die Möglichkeit, kurzfristig innerhalb eines Tages schwankende Preise realisieren zu können. Alle Stromzähler müssen also gegen solche mit Datenfernübertragung ausgetauscht werden. Vorrangig und schnell zu klären und ggf. auszuräumen oder durch gesetzliche Vorgaben einzugrenzen sind die Einwände bzgl. des mangelhaften Datenschutzes bei der Verwendung.
2. Fazit: Beides muss ebenfalls VOR den Entscheidungen über den weiteren Netzausbau und ggf. der Genehmigung neuer, grundlastfähiger Großkraftwerke geklärt und entschieden werden.
Der Ausbau der Windenergienutzung ist mittlerweile auch (neben den bisher schon bekannten Widerständen bei den Anliegern – Stichworte „Verspargelung der Landschaft, Ultraschall …) bei Naturschutzverbänden nicht mehr unumstritten. Sowohl Onshore wie Offshore gibt es nachvollziehbare und begründete Widerstände, die ernst zu nehmen sind. Im Ausland sind die Probleme teilweise sogar noch weit gravierender als bei uns. Der Offshore-Ausbau stockt darüber hinaus aus weiteren Gründen wie fehlender Netzanschluss oder Finanzierungslücken. Ein last- und windhöffigkeitsorientierter Masterplan für ganz Deutschland ist dringend erforderlich.
Auch wenn dies bei der grünen Klientel nicht gern gehört wird, ist es eindeutig, dass ein ungebremster (!) weiterer Ausbau der PV in Deutschland nicht sinnvoll ist und mittelfristig mehr Probleme schafft als löst. Ein sinnvolles Steuerinstrument wird aber bisher nicht einmal diskutiert, geschweige denn wäre es in absehbarer Zeit einsetzbar.
Ein weiterer Diskussionspunkt hier ist der Umgang mit der chinesischen PV-Industrie. Um es auf den Punkt zu bringen geht es dabei um die Bewertung der Frage, welches „Gut“ höher zu bewerten ist:
oder
3. Fazit: Der deutschlandweite (noch besser der europaweite) Ausbau von Wind- und PV-Energie muss koordiniert und gesteuert werden. Die Mittel müssen da eingesetzt werden, wo sie den meisten Nutzen bringen, nicht da, wo sie WählerInnen und/oder Lobbyisten erfreuen. Der Ausbau muss an Bedarf, Verteilmöglichkeiten und Speicherkapazitäten orientiert werden oder diese Faktoren müssen zumindest in Einklang mit dem Ausbau gebracht werden.
Die Erneuerbaren Energien haben Einspeisevorrang. Die Grundlast-Kraftwerke lassen sich jedoch nur beschränkt (Gas) oder gar nicht (Braunkohle) kurzfristig ab- und zuschalten. Dadurch kommt es bei dauerhaftem Wind oder starker Sonnenstrahlung zu häufigen Ausfällen – genauer Abschaltungen der WKAs und der Verhinderung einer Einspeisung von PVs oder einer Überkapazität im Netz, die nicht genutzt werden kann. Zum Jahresende 2011 waren 25.000 MW PV-Leistung installiert, die im Sommer tagsüber voll eingespeist werden, während im Winter diese Leistung sehr deutlich abfällt. 2011 wurden damit 18,5 * 109 kWh produziert, zum Vergleich wurden 2011 48 * 109 kWh Windenergie produziert.[2]
Gleichzeitig führen die Erneuerbaren Energien dadurch zu einer deutlichen Verringerung der Lauf- bzw. Betriebszeiten der Grundlast-Kraftwerke. Bereits heute sind selbst modernste Gas-Kraftwerke nicht mehr rentabel zu bauen und zu betreiben. Das muss man nicht bedauern, aber dennoch müssen Reserven für windstille und sonnen-schwache Tage vorhanden und abrufbar sein, zumindest solange keine ausreichenden Speichermöglichkeiten zur Verfügung stehen.
So müssen Regelungen getroffen werden, um für den gleichzeitigen Ausfall von Wind- und PV-Strom Reserven sicher zu stellen, wobei in unterschiedlichen Zeithorizonten (aktuell, in den nächsten 10 Jahren, danach) gedacht werden muss. Wahrscheinlich muss die Finanzierung derartiger „Reserve-Kraftwerke“ bzw. die Vergütung für durch sie zu produzierenden Strom neu geregelt werden, denn aktuell würde ein Abschalten mehrerer heutiger Kraftwerke aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit zu „Blackouts“ führen.
In diesem Zusammenhang müssen wir unser Verhalten zur künftigen Nutzung fossiler Energieträger (inkl. Gas mit der Ausnahme Biogas) festschreiben. Zu Biomasse gilt nach wie vor der Beschluss der BAG. Sog. Windgas oder CO2-neutral erzeugtes Biogas sind in Spitzellastkraftwerken problemlos zu verwenden.
Aber dürfen wir noch dem Neubau von fossil-betriebenen Kraftwerken zustimmen? Wie setzen wir unsere (hoffentlich eindeutig ablehnende) Haltung zu neuen Kohle- oder gar Braunkohle-Kraftwerken und wie diese in Koalitionen durch?
Erst wenn konkrete Planungen für die Punkte 1 bis 6 vorliegen, lassen sich seriöse Planungen des DAFÜR benötigten Netzausbaus durchführen. Bis dahin sollten nur Baumaßnahmen umgesetzt werden, deren Bedarf – unabhängig von den obigen Fragen – unstrittig ist. Fällt eine Entscheidung für ein mittelfristig dezentrales System mit z.B. Schwarmtechnologie und mittelgroßen dezentralen Speichern wird der dafür erforderliche Netzplan anders aussehen als bei einem starken Ausbau der Off-Shore-Windenergie und/oder einem Anschluss an DESERTEC.
Dennoch wird hier und heute bereits versucht, Fakten zu schaffen, bis zu 3.800 km neuer Trassen werden genannt.
Im Juni 2011 in unseren BDK-Beschluss „Energiewende in Deutschland – Grün geht voran“ wurde auf S. 9 beschlossen:
„Wir fordern ernstzunehmende Investitionen der Gemeinden, der Bundesländer und des Bundes in Projekte im Bereich der regionalen, erneuerbaren Energieerzeugung, der Energieeffizienz, der Energieeinsparung und des Stromnetzes.“
Bei den derzeitigen Marktzinsen für Staatsanleihen von etwa 1% wäre ein Einstieg von Bund, Ländern und Kommunen in Netzbau und –betrieb, Schaffung von Speichern und ggf. auch Wind-, PV- und Biogas-Kraftwerken sogar eine Möglichkeit zur Haushaltssanierung.
Richtig ist auch sicher die jetzt neu angestoßene Diskussion über eine Fortschreibung der Ökosteuer, dieses Mal vielleicht gar für Maßnahmen wie CO2-Ersparnis und Umbau der deutschen Energiegewinnung zu verwenden statt Haushaltslöcher im Staatshaushalt zu füllen …
Abschließendes Fazit: Die Gestaltung der Energieversorgung in Deutschland (und Europa) der nächsten Jahrzehnten ist ein komplexes System, in dem bisher fast immer nur an einzelnen Stellschrauben gedreht wurde, ohne die dadurch ausgelösten Wirkungen auf andere Teile des System zu berücksichtigen oder diese gar positiv mit einzubeziehen. Aber genau dies ist das Gebot der Stunde. Daher muss ein grünes Wahlprogramm 2013 auch genau diesen Schritt leisten!
Erg.: Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen, Energieeinsparung, Energieeffizienzsteigerung, Klimaverträglichkeit und Konkurrenzfähigkeit der Energiekosten
weitere Infos (häufig mit weiteren Links zum Thema):
zu Speichern:
http://www.stromtip.de/rubrik2/20024/Strom-speichern-das-geht-schon-heute.html
zu Netzen:
http://www.netzentwicklungsplan.de/sites/default/files/pressematerial/120529_Pra%CC%88sentation.pdf
http://www.netzentwicklungsplan.de/content/netzentwicklungsplan-2012
http://www.taz.de/Netzausbau-versus-dezentrale-Versorgung/!94961/
zu Wind:
http://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/themen/erneuerbareenergien/bfn_position_wea_ueber_wald.pdf
http://www.bmu.de/erneuerbare_energien/doc/47788.php
http://www.welt.de/wirtschaft/article106190231/Offshore-Windparks-vermiesen-Siemens-die-Bilanz.html
zu Photovoltaik:
[2] WaS, 27.5.2012, „Energiewende und die Folgen“