Ist die Bundestagswahl noch zu gewinnen?
Überarbeitete Version nach der (nachvollziehbaren) Bitte um Korrekturen:
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Zunächst je eine kurze Analyse der Lage außerhalb und innerhalb der Grünen:
1. Jenseits von Grün:
In der sog. „westlichen Welt“ gibt es einen unverkennbaren Rechtsruck und eine unübersehbare Demokratiemüdigkeit. Die Gründe sind u.a. die zunehmend erkennbare Selbstbedienungsmentalität vieler Politiker*innen, die Nichteinhaltung von Wahlversprechungen, die zunehmende, von der Politikerklasse geduldete, ja oft geförderte Zunahme der Ungerechtigkeit, die mittlerweile unübersehbare fortschreitende Umverteilung von unten nach oben, das Ignorieren der Umweltprobleme, das Nicht-Handeln gegen, wenn nicht gar das weitere Verstärken von Fluchtursachen, die vertragswidrige fortbestehende atomare Rüstung … (Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).
In Deutschland sind durch die (gelungene) Kandidatur von Schulz und die erkennbare Amtsmüdigkeit von Merkel die zu erwartenden Ergebnisse deutlich verschoben. Allerdings existiert nach wie vor keine „Linke Mehrheit“ (die ja vor 4 Jahren „großmütig“ verschenkt wurde). Die Gewinne der SPD gehen zu Lasten der Grünen, der Linken und der Nichtwähler*innen, die AfD (aufgrund ihres laufenden Machtkampfes) und die CDU/CSU geben gleichzeitig Stimmen an die Nichtwähler*innen und zum kleineren Teil an die FDP ab, die CDU auch an die SPD.
Die Entwicklungen der nächsten Monate können uns Grünen noch derart „schauderhaft“ auf die Füße fallen, dass wir um den Einzug in den Bundestag fürchten müssen, wenn z.B.:
- Erdogan den „Flüchtlingsdeal“ aufkündigt
- der Krieg in Syrien oder den Nachbarländern oder in der Ukraine erneut eskaliert
- Le Pen die Wahl in Frankreich gewinnt und der Frexit kommt und damit die EU scheitert
- die Griechenland-Krise eskaliert und Griechenland aus dem € austritt oder „ausgetreten wird“
- Trump den Welthandel und damit den deutschen Export in die USA massiv beschädigt
- der Irankonflikt nach einer Kündigung des Atomdeals eskaliert
- es einen Krieg mit Nordkorea gibt
- es einen Handels- und/oder Währungskrieg der USA mit China gibt
… alles bei der aktuellen Entwicklung und der Unberechenbarkeit eines – vor allem eines angeschlagenen – Trump durchaus nicht auszuschließen.
2. Inside „Grün“:
Die drastischen Verluste in den Umfragen (mittlerweile liegen wir bundesweit nur noch bei 6,5% bis 9% ) – haben mehrheitlich ihre Ursachen innerhalb unserer Partei:
- Die bewusste Aufgabe der urgrünen Themenfelder: Atompolitik, Friedens- und Sozialpolitik wurden den Linken überlassen, um bürgerliche Wähler*innen beim „Kampf um die Mitte“ nicht zu „verschrecken“. Dass damit die eigene Stammwählerschaft zu den Linken oder den Nichtwähler*innen vertrieben wurde, wurde in Kauf genommen.
- Die „grandios“ (gegen die eigne Satzung verstoßende, s. Urabstimmungsordnung, § 6.2) organisierte Urwahl hat ein Ergebnis (welches bis heute nur schwierig auf der Grünen HP auffindbar ist!) gebracht, wie es schlechter nicht sein konnte (zunächst einmal ohne die Wertung der Personen). Gewählt wurde mit jeweils mickrigen Stimmenergebnissen 2 Vertreter*innen des rechten Parteiflügels, sodass sich postwendend – wie zu erwarten und vorhersehbar – große Teile des linken Flügels „entspannt“ zurücklehnten und dachten „Nu macht mal schön …!“ Der Fehler war absehbar und wurde durch das vom Länderrat beschlossene Wahlverfahren ( – ein Durchgang mit mehreren Kandidat*innen auf der offenen und – satzungswidrig – nur einer Kandidatin auf der weiblichen Seite) fast so zwangsläufig verursacht, dass sich die Frage stellt, ob dies von Anfang an Absicht war. Oder sind die Protagonist*innen wirklich so kurzsichtig gewesen?
- Die gewählten Personen selbst: Sich einen feuchten Kehricht um Parteiprogramm und -beschlüsse scherend, geistern die „Spitzenkandidat*innen“ durch die Medien und prägen dort ein Bild von den Grünen, das zumindest einen wesentlichen Teil der grünen Wähler*innen abstößt und das (als Ziel angestrebte) bürgerliche Lager nur irritiert oder in der Wahl von CSU und AfD bestätigt. Zudem wurden zwei Kandidat*innen gewählt, die als Personen erkennbar nicht den nötigen Rückhalt in der Partei haben, erkennbar vor allem bei Cem mit seinem faktischen 21%-Ergebnis.
- Letztlich häufen sich die „Knieschüsse“ grüner Spitzenleute: Sei es das unsägliche Afghanistanpapier (laut SZ vom 18.2. wurde das Papier von „dem Haus Kretschmann“ durchgestochen), das gleich zwei Klöpse lieferte: die Forderung einer Abschiebung nach Afghanistan (mit der – falschen – Begründung, „wir müssen ja …“) und die noch falschere (!) Vortäuschung, das Papier „… würde von allen grünen Landesregierungen mit getragen“ (was zum Glück schlicht gelogen war).
- Ein weiteres „Highlight“ der besonderen Art war die Pensionsregelung in ganz großer Koalition mit CDU und SPD in BaWü. Hier waren (damals gegen die Stimmen der Grünen) 2008 die Diäten sehr deutlich erhöht worden mit der Begründung, dass künftig die Altersversorgung selbst geregelt werden müssen. Nachdem jetzt aufgrund der Nullzinsen das privatwirtschaftliche Modell Schwierigkeiten machte (wie übrigens auch bei Millionen anderer Menschen, die privat für Alter vorsorgen müssen), wurde das wieder gekippt und erneut eine Pension eingeführt, die Erhöhung von 2008 blieb „natürlich“ (?) erhalten.
Welche Lösungsansätze bleiben?
Wird die anstehende NRW-Wahl deutlich verloren – was derzeit zu erwarten ist – wird sich das Ergebnis auch für die Grünen auf der Bundesebene niederschlagen. Der erste Schritt muss somit eine Stärkung der NRW-Grünen sein. Auch wenn es schwierig ist, von außen Ratschläge zu erteilen, kann dies auch helfen, den eignen Blick zu schärfen. Daher wird angeregt, auch in NRW die Mehrheitsposition zur Afghanistan-Abschiebung zu übernehmen und dies auch zu deutlich kommunizieren und nicht zu versuchen, hier über CDU-Positionen bei Wähler*innen zu punkten, die uns eh nie wählen werden. Weiterhin sollte darüber nachgedacht werden, wie lange ein – u.a. für die Amri-Krise verantwortlichen – SPD-Innenministers Jäger noch unterstützt werden kann.
In den wenigen Monaten bis zur Wahl ist es fast aussichtslos, noch erfolgreich gegen zu steuern.
Weiterhin müsste umgehend Folgendes geschehen:
- Einberufung eines Länderrates zur Koordinierung des Wahlkampfes zwischen der Bundes- Europa- und Länderebene, dabei Klärung und Festlegung der wichtigsten politischen Fragen für den Wahlkampf, Festlegung der Schwerpunktthemen orientiert an den erkennbaren Wähler*innen-Interessen
- Verzicht der per Urwahl gewählten Spitzenkandidat*innen im Interesse der Partei
- Wahl der Spitzenkandidat*innen auf der BDK in mehreren Wahlgängen, wobei auch weitere Kandidat*innen zugelassen werden können
- Abstimmung über eine Koalitionsaussage zur Bundestagswahl auf der BDK oder in einer Urabstimmung, wobei vor allem die Frage „mit der CSU?“ explizit abzufragen ist.
- Verabschiedung von wenigen, aber klar definierten „Essentials“ – orientiert an bisherigen BDK-Beschlüssen – auf der BDK, ohne deren Erreichung ein Koalitionsvertrag ausgeschlossen wird.
Ohne diese Schritte werden wir Grünen bei der Bundestagswahl mit der 5%-Hürde kämpfen und höchstens durch „glückliche Zufälle“ – von uns nicht zu beeinflussen – eine Regierungsbeteiligung erreichen.
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